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Klimachance Landwirtschaft: Europas unterschätzter Hebel für das 2040-Ziel
Die Landwirtschaft kann einen entscheidenden Beitrag zur Klimaneutralität der EU leisten – sowohl durch die Reduzierung eigener Treibhausgasemissionen als auch durch die Speicherung von Kohlenstoff in Pflanzen und Böden und die Substitution fossiler Rohstoffe. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, muss sie zu einem integralen Bestandteil der EU-Klimapolitik werden.
Der jüngste Vorschlag der EU-Kommission zu einem verbindlichen Klimaziel für 2040 ist ein wichtiges Signal für den Klimaschutz. Um die Treibhausgasreduktion von 90 Prozent bis 2040 gegenüber 1990 zu erreichen, müssen alle Wirtschaftssektoren ihren Beitrag leisten – auch die Landwirtschaft. Obwohl die landwirtschaftlichen Emissionen in den vergangenen 20 Jahren weitgehend konstant waren, könnte der Sektor einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Dieses Potenzial wird im Vorschlag der Kommission jedoch nicht erwähnt.
Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftssektoren lassen sich die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft nicht vollständig vermeiden. Solange Land bewirtschaftet und Tiere gehalten werden, um Lebensmittel zu produzieren, entstehen Treibhausgasemissionen. Wie unsere Studie „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ernährung in einer klimaneutralen EU“ jedoch zeigt, könnte der Sektor mit den richtigen politischen Anreizen einen substanziellen Beitrag leisten, um die Klimaziele der EU zu erreichen:
- Bis Mitte des Jahrhunderts könnten die Treibhausgasemissionen aus Landwirtschaft und landwirtschaftlich genutzten Mooren in der EU um 60 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 gesenkt werden. Wichtige Hebel dafür sind: Erstens, die Wiedervernässung von landwirtschaftlich genutzten Mooren, die zwar nur zwei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen, aber mehr als 20 Prozent der durch die Landwirtschaft verursachten Emissionen ausmachen. Zweitens, die Verringerung der Methanemissionen vor allem aus der Rinderhaltung, sowohl durch den Einsatz emissionsmindernder Technologien wie Futterzusätzen und ein verbessertes Management, wie auch durch eine Verringerung des Konsums und der Produktion tierischer Produkte.
Klimachance Landwirtschaft: Europas unterschätzter Hebel für das 2040-Ziel
Außerdem kann die Landwirtschaft deutlich mehr negative Emissionen bereitstellen als heute. Schnell wachsende Bäume und Hecken könnten bis Mitte des Jahrhunderts etwa 770 MtCO2 binden, wenn sie auf etwa acht Prozent der landwirtschaftlichen Fläche gepflanzt werden. Indem mit der Biomasse fossile Rohstoffe in der Industrie und im Energiesektor ersetzt werden, könnten zusätzlich jährlich etwa 120 MtCO2 eingespart werden.
Um diese Klimapotenziale mit der Produktion von Lebensmitteln für eine gesunde Ernährung in der EU zu verbinden und gleichzeitig einen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit zu leisten, braucht es eine effiziente Flächennutzung sowie eine nachhaltigere Nachfrage nach Lebensmitteln, Futtermitteln und anderer Biomasse.
Vier Politikbereiche sind für die Mobilisierung dieses Potenzials besonders wichtig:
1. Den Beitrag des Agrarsektors zur Klimaneutralität definieren: Bisher fehlt ein klar definierter Beitrag der Landwirtschaft zu den EU-Klimazielen für 2040 und 2050. Das trägt zu Unsicherheit bei – sowohl für Landwirtinnen und Landwirte als auch für vor- und nachgelagerte Unternehmen. Langfristige und verlässliche Ziele würden mehr Planungssicherheit für den Sektor und für die politische Gestaltung wirksamer Anreizmechanismen schaffen. Nicht zuletzt würden all jene Unternehmen der Ernährungswirtschaft gestärkt, die bereits heute Klimaschutz in ihren Lieferketten – also auch in ihren Scope-3-Emissionen – umsetzen.
2. Eine Klimapolitik für den Agrarsektor entwickeln: Basierend auf langfristigen Klimazielen braucht die Landwirtschaft eine eigene Klimapolitik. Dazu gehören die Bepreisung landwirtschaftlicher Treibhausgasemissionen und finanzielle Anreize zur Speicherung von Kohlenstoff auf landwirtschaftlichen Flächen. So entstehen Rahmenbedingungen, um unternehmerisches Handeln in Richtung Klimaschutz zu lenken.
3. Faire Ernährungsumgebungen schaffen: Faire Ernährungsumgebungen fördern einen nachhaltigeren Konsum – etwa eine stärker pflanzenbetonte Ernährung und weniger Lebensmittelabfälle. So werden die Treibhausgasemissionen des Ernährungssystems gesenkt und Flächen für die Erzeugung von Biomasse für die Bioökonomie gewonnen, statt durch erhöhte Importe zu negativen Umwelt- und Klimaauswirkungen in anderen Ländern beizutragen.
4. Den Weg für eine nachhaltige Bioökonomie ebnen: Nicht nur Lebensmittel sollten nachhaltiger konsumiert und produziert werden, sondern auch andere Biomasse. Um Biomasse optimal für die Bioökonomie zu nutzen, braucht es klare Prioritäten: Stoffliche Nutzung – etwa in langlebigen Materialien wie Bauholz oder Dämmstoffen – sollte bevorzugt werden, während die energetische Nutzung mittelfristig auf Bereiche begrenzt werden sollte, die sich nur schwer elektrifizieren lassen.
Es ist eine verpasste Chance, dass der Kommissionsvorschlag die Landwirtschaft nicht explizit erwähnt und so den möglichen Beitrag des Sektors für die Klimaneutralität nicht hervorhebt. Gleichzeitig sieht die Kommission vor, internationale Emissionszertifikate zu nutzen, um die Minderungsziele zu erreichen. In der Begründung des Kommissionsvorschlags heißt es, dass solche Zertifikate nicht im EU-Emissionshandelssystem angerechnet werden sollten. Das deutet darauf hin, dass sie insbesondere in den Sektoren Landwirtschaft und LULUCF relevant werden.
Während andere Sektoren, wie etwa die Energiebranche, ihre Treibhausgasemissionen in den letzten Jahren schon deutlich gesenkt haben, steht die Landwirtschaft noch am Anfang. Auch der Einsatz von Technologien und Maßnahmen zur Minderung von Treibhausgasen ist noch neu. Daher könnte die Option der internationalen Emissionszertifikate die Debatte verändern und Anreize für den Sektor, zur Klimaneutralität beizutragen, weiter verzögern.
Insbesondere könnten internationale Zertifikate Investitionen in landbasierte negative Emissionen in der EU reduzieren. Das Potenzial für landwirtschaftliche negative Emissionen wird sich nur dann entfalten, wenn Landwirtinnen und Landwirte in künftigen Kohlenstoffmärkten und damit der Erzeugung negativer Emissionen wirtschaftliche Chancen sehen. Kostengünstige internationale Zertifikate, die in den Ursprungsländern möglicherweise ökologische und soziale Probleme verursachen, könnten Investitionen in die heimischen Kohlenstoffsenken in der Land- und Forstwirtschaft verdrängen. Die EU-Kommission sollte daher gezielte Anreize schaffen, damit in der EU mehr in landbasierte negative Emissionen auf landwirtschaftlichen Flächen investiert wird.
Schließlich betont der Kommissionsvorschlag, dass dauerhafte negative Emissionen eine zunehmend wichtige Rolle für die Erreichung der Klimaziele spielen sollen, um schwer vermeidbare Emissionen auszugleichen. Viele dieser Maßnahmen werden mit der Speicherung von CO₂ aus Biomasse (Bio-CCS oder BECCS) verbunden sein. Auch wenn Investitionen in solche Infrastrukturen wichtig sind, sollte Bio-CCS oder BECCS nur dort umgesetzt werden, wo die Nutzung von Biomasse ohnehin eine klimaeffiziente Lösung ist.
Das Klimaziel für 2040 ist ein starkes Signal der EU für den Klimaschutz. Es ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt, um die Landwirtschaft fest in die europäische Klimaagenda einzubinden und ihr Potenzial zur Emissionsreduzierung und Kohlenstoffbindung zu nutzen.
Der Beitrag ist in leicht abgewandelter Form zuerst bei Table.Media erschienen.
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