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Kommentar
Date
11. Juli 2025

Chancen einer zielgerichteten Agrarförderung für Landwirtschaft und Gesellschaft

Die EU-Kommission will mit dem neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) effizienter haushalten. Für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zählt dabei vor allem eins: die zielgerichtete Verwendung öffentlicher Mittel für Gemeinwohlleistungen.

Die Debatte um den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU bringt eine altbekannte Frage zurück: Welche Gründe sprechen dafür, Steuergelder für die Landwirtschaft zu verausgaben? 

Durch neue Prioritäten wie Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit ist diese Frage aktueller denn je. Die laufende Diskussion über die künftige GAP-Architektur und die Höhe des Budgets droht jedoch vom Wesentlichen abzulenken: Wofür wird das Geld eigentlich verwendet?

Gemeinwohlleistungen als Einkommensquelle für Betriebe 

Werden GAP-Zahlungen konsequent auf die Förderung öffentlicher Güter ausgerichtet, öffnet dies vielversprechende Perspektiven – sowohl für Landwirtinnen und Landwirte als auch für die Gesellschaft. Leisten Betriebe einen Beitrag zum Gemeinwohl, sollten sie dafür entlohnt werden – unabhängig von Größe und Region. Zu diesen Leistungen gehören sauberes Wasser, gesunde Böden, Biodiversität, Klimaschutz, Tierwohl sowie bestimmte soziale Funktionen. Diese öffentlichen Güter haben einen hohen gesellschaftlichen Wert – werden vom Markt jedoch unzureichend honoriert und deshalb zu wenig bereitgestellt.

Eine GAP, die die Basisprämie schrittweise in Zahlungen für die Bereitstellung öffentlicher Güter umwandelt, macht Nachhaltigkeit zur wirtschaftlichen Chance für Betriebe. Sie könnte so zu einer tragenden Säule einer wettbewerbsfähigen, fairen und krisenfesten EU werden – erklärte Ziele der EU-Kommission in ihrer Zukunftsvision für die Landwirtschaft.

Vorteile für die Wirtschaft durch Ökosystemleistungen

So profitieren zum Beispiel große Teile der europäischen Wirtschaft, wenn nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken zentrale Ökosystemleistungen fördern. Dazu gehören: saubere Luft, eine gute Wasserqualität oder Bestäubungsleistungen. Laut Europäischer Zentralbank sind über zwei Drittel der realwirtschaftlichen Unternehmen in der EU auf solche Leistungen angewiesen.

Ähnliches gilt für den Weg zur Klimaneutralität. Es ist volkswirtschaftlich sinnvoll, Treibhausgasminderung und Kohlenstoffbindung in der Landwirtschaft zu fördern. So ist es hier oft kostengünstiger als in anderen Sektoren, Emissionen zu reduzieren und Kohlenstoff zu binden, etwa über die Förderung von Technologien zur Reduktion von Methanemissionen.

Darüber hinaus kann nur eine resiliente Landwirtschaft langfristig zur Erreichung gesellschaftlicher Gemeinwohlziele beitragen. Angesichts zunehmender Klimafolgen ist öffentliche Unterstützung für die Anpassung des Sektors entscheidend. Denn neue Praktiken und Innovationen – etwa die Digitalisierung – sind essenziell, aber mit Kosten verbunden, die Betriebe oft nicht allein stemmen können.

Mehr Zielorientierung weniger Gießkanne 

Eine auf öffentliche Güter ausgerichtete GAP passt zu einem zielorientierten EU-Haushalt. Ausgaben würden dadurch klar mit politischen Zielen verknüpft. Die Kofinanzierungsraten ließen sich flexibel gestalten – etwa durch höhere EU-Zuschüsse für Maßnahmen mit höherer Ambition.

Zudem gilt: Öffentliche Güter sind kontextabhängig. In Regionen Europas mit wenig alternativen Einkommensmöglichkeiten, kann die Sicherung landwirtschaftlicher Einkommen ein öffentliches Gut sein – wichtig für gesellschaftlichen Zusammenhalt und regionale Stabilität.

Überholte Argumente halten Prüfung kaum Stand

In der aktuellen Debatte bleiben diese Chancen weitgehend unbeachtet – stattdessen gewinnen überholte Argumente an Bedeutung, die einer kritischen Prüfung kaum standhalten. 

So sieht der Strategische Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft vor, GAP-Mittel gezielt „den Bedürftigsten“ zukommen zu lassen. Doch so ein Ansatz stößt schnell an Grenzen: Das landwirtschaftliche Einkommen ist, im Gegensatz zum Haushaltseinkommen, kein verlässlicher Indikator für soziale Bedürftigkeit. So macht das Einkommen aus der Landwirtschaft bei vielen Landwirtinnen und Landwirten nur einen Teil ihres gesamten Haushaltseinkommens aus. Weitere Einkünfte können zum Beispiel aus der Energieerzeugung und dem Tourismus stammen. EU-weite Daten zu landwirtschaftlichen Haushaltseinkommen fehlen. Fragen der sozialen Gerechtigkeit lassen sich zudem wirksamer im Rahmen der Sozialpolitik als durch Agrarpolitik beantworten.

Das häufig genannte Ziel der Ernährungssicherheit rechtfertigt GAP-Zahlungen ebenfalls nicht. Zwar ist Ernährungssicherheit zentral, doch erstens haben GAP-Zahlungen in der häufig sehr wettbewerbsfähigen EU-Landwirtschaft darauf keinen entscheidenden Einfluss, und zweitens besteht in der EU derzeit und in absehbarer Zukunft keine Gefahr einer Unterversorgung. Ausschlaggebender Faktor für Ernährungssicherheit in der EU ist vor allem die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern. 

Auch das Argument der Absicherung gegen Klima- oder Marktschocks trägt nur bedingt: Solche Risiken sind ungleich verteilt. Betriebe verfolgen zudem sehr unterschiedliche Risikomanagementstrategien – einheitliche GAP-Zahlungen lassen sich daraus schwer ableiten.

Erfolgsrezept für eine stärkere Landwirtschaft

Die Landwirtschaft hat große gesellschaftliche Bedeutung: Neben der Nahrungsmittelproduktion kann sie viele Gemeinwohlleistungen erbringen. Genau daraus sollten wirtschaftliche Chancen für Betriebe entstehen. Für Zahlungen, die nicht an gesellschaftliche Ziele geknüpft sind, fehlt hingegen eine tragfähige Begründung. Auf Dauer fehlt dem Sektor so ein überzeugendes Argument für den Erhalt des GAP-Budgets. Eine Gemeinsame Agrarpolitik, die gesellschaftliche Ziele in unternehmerische Chancen übersetzt, ist daher nicht nur überzeugender – sie ist ein Erfolgsrezept für eine stärkere und selbstbewusstere Landwirtschaft.

Der Beitrag ist in leicht abgewandelter Form zuerst in Agra Europe erschienen.

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